Paneldiskussion im Rahmen des Festival of Thought am 23.09.19 in Zürich

Integrität, wirtschaftlicher Erfolg und das Gute Leben

Integrität ist als Schlagwort in aller Munde, vor allem, wenn wieder einmal ein Skandal das Vertrauen in Wirtschaft oder Staat erschüttert. Wie aber sieht Integrität im Unternehmensalltag und der Gesellschaft konkret aus? Welche Rolle spielt Integrität beim Gelingen des eigenen Lebensentwurfs, im ganz persönlichen Glücksstreben? Wie finden Menschen die Motivation, die Kraft und den Mut, die zur Integrität dazugehören?

Im Rahmen des Festival of Thought in Zürich beleuchteten Dr. Christian Hofreiter (Direktor Zacharias Institut für Wissenschaft, Kultur und Glaube), Prof. Regina Aebi-Müller (Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung an der Universität Luzern sowie Vizepräsidentin der Kommission für wissenschaftliche Integrität), Andreas Deck (Ökonom, HR-Manager und Mitglied des Leitungsteams der Stiftung Leaders‘ Integrity Foundation)  und Dr. Jessie Zheng Zhang (Project Manager EUrelations AG) das Thema Integrität aus verschiedenen Blickwinkeln.

Die Frage, was Integrität überhaupt bedeutet, sei gar nicht so einfach zu beantworten. Oft ist uns eher klar, was wir unter Nicht-Integrität verstehen, wenn sich Menschen also nicht-integer, das heißt korrupt, verhalten. Integrität sei zunächst einmal, so Prof. Aebi-Müller, die Übereinstimmung zwischen den Werten und dem Verhalten eines Menschen. Für Andreas Deck hat Integrität viel mit Identität zu tun: Wofür stehe ich? Was macht mich aus? Und was sind meine unverhandelbaren Prinzipien – die „Non-Negotiables“? Dr. Jessie Zheng Zhang definiert den Begriff über die chinesische Sprache. Das chinesische Wort für Integrität besteht aus zwei Wörtern: Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Beides zusammen bedeutet Integrität.

Dr. Jessie Zheng Zhang: Das chinesische Wort für Integrität besteht aus zwei Wörtern: Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit

Vertrauen ist die zentrale Währung in der Wirtschaft, vor allem im Finanzmarkt, so Andreas Deck. Integrität wiederum ist die Basis für Vertrauen. Deshalb ist Integrität ein Schlüsselfaktor für gelingendes Leben und Wirtschaften. Was aber tun wir, wenn es eng wird – wenn wir entscheiden müssen zwischen dem „richtigen“ Verhalten und schnellem Gewinn? Passt das, was wir sagen, mit dem zusammen, was wir tatsächlich leben? Vertrauen wir beispielsweise unseren Mitarbeitern wirklich – oder herrscht hinter den Kulissen eine Atmosphäre von Kontrolle, Druck und Misstrauen?

Andreas Deck: Vertrauen ist die zentrale Währung in der Wirtschaft!

Die Frage, wie wir in Drucksituationen umgehen, hat nach Überzeugung von Andreas Deck viel mit dem Background der beteiligten Führungskräfte zu tun. Die persönlichen Prägungen, Erfahrungen und Denkmuster – oft geformt in jungen Jahren – steuern unseren Führungs- und Lebensstil. Es ist wie bei einem Haus: Auf dem Fundament der eigenen Persönlichkeit (mit allen Stärken und Schwächen) wird das Lebenshaus gebaut (Karriere, Job, Partnerschaft, Familie). Je höher dieses Haus, desto wichtiger das Fundament. Wenn dieses Fundament dann instabil ist (z.B. durch einen übertriebenen Drang nach Anerkennung, Macht oder Geld – verursacht durch inneren Mangel) kommt die Statik in Gefahr, droht der Absturz. Je gesünder und stärker unsere Persönlichkeit, desto stabiler können wir stehen – auch bei Gegenwind.

Prof. Regina Aebi-Müller: Integrität beginnt im Kleinen. Wir können anfangen, in kleinen Dingen integer zu sein. Dann werden wir ein Gespür entwickeln, was im Großen integer ist.

Frau Prof. Aebi-Müller zeigte einen gangbaren Lösungsweg auf, wie man Integrität erlernen kann. Sie ist überzeugt: Integrität beginnt klein in unserem Inneren. Wir können anfangen – das heißt praktisch einüben – in kleinen Dingen integer zu sein. Wie rede ich über Personen, die nicht anwesend sind? Benutze ich die Briefmarken der Firma für private Post? Ist die Abrechnung meiner Reisespesen korrekt? etc. Je mehr wir in diesen kleinen Dingen Integrität einüben, desto sicherer werden wir ein Gespür dafür entwickeln, was im Großen integer ist oder nicht. Es geht darum, unseren inneren Werte-Kompass zu eichen. Das beginnt bei mir, nicht oben beim Konzernchef, sondern in meinem Umfeld und Verantwortungsbereich.

Dr. Christian Hofreiter: Wir im Westen zehren von einem Wertekanon, der vor allem aus dem jüdisch-christlichen Weltbild kommt.

Wie bleibe ich auf Kurs und was schützt mich vor der Gefahr des Abdriftens in den Graubereich? Diskutiert wurde diese wichtige Frage rund um eine interessante These: Die Wahrscheinlichkeit, sich integer zu verhalten, ist wesentlich größer, wenn ich einer externen Instanz gegenüber verantwortlich bin. Konkret: Wem gebe ich Rechenschaft, wem gegenüber bin ich für mein Tun und Wirken in der Verantwortung? Bin ich mir selbst höchste Instanz? Oder habe ich ein Gegenüber, dem ich Rechenschaft gebe? Unsere Integrität ist stärker mit einem Gegenüber. Das ist institutionell so – wenn ich Hierarchien über mir habe – und das gilt auf persönlicher Ebene, z.B. durch den Glauben an Gott, dem gegenüber ich verantwortlich bin. Mitarbeiter spüren schnell, ob wir eine Autorität über uns haben oder uns selbst der höchste Maßstab sind.

Einen interessanten Schlusspunkt setzte Professorin Aebi-Müller: Natürlich gibt es Menschen, die nicht an Gott glauben und integrer seien als sie. Was sie aber als ihren Vorteil betrachte ist die Tatsache, dass sie nicht perfekt sein muss. Das heißt, durch ihren Glauben hat sie die Möglichkeit, für ihre Fehler, Schwächen und Nicht-Integrität Vergebung zu erfahren. Dadurch könne sie auch besser zu eigenen Fehlern stehen und müsse diese nicht verdrängen oder wegdrücken. Das, so Prof. Aebi-Müller, erleichtere das Leben enorm!