Besser als Vorsätze –

der Wunsch, integer zu leben

von Claude R. Schmutz
LIF Präsident

Viele Menschen fassen auf das neue Jahr hin gute Vorsätze. Diese Vorsätze erzeugen – noch bevor das Jahr begonnen hat – einen ziemlichen Druck. Mir persönlich behagt es nicht, wenn der Jahres-Einstieg bereits mit selbst auferlegtem Druck verbunden ist.

Mir ist es sympathischer, Wünsche für das Jahr zu formulieren. Natürlich sollen sich diese Wünsche realisieren – aber wenn das nicht gelingt, ist es nicht so schlimm. Und wenn sich ein Wunsch erfüllt, kann ich mich herzhaft darüber freuen.

Zum Jahresstart habe ich mein Büro aufgeräumt. Dabei stach mir ein Zeitungsartikel von Markus Huppenbauer, Professor an der Universität Zürich, aus dem Jahr 2013 ins Auge. Titel: „Ethik und Leadership“

In diesem Artikel macht sich Prof. Huppenbauer interessante Gedanken zur Bedeutung und Machbarkeit von Integrität. Seine Aussagen haben auch etwas mit dem Thema „Wünsche“ zu tun. Nachfolgend einige Ausschnitte:

  • Man darf erwarten, dass Führungsverantwortliche moralische Normen wie Respekt, Fairness und Ehrlichkeit kennen. Diese zu kennen impliziert aber nicht, sie auch umzusetzen. Um zuverlässig moralisch handeln zu können, müssen Führungsverantwortliche moralisch integre Persönlichkeiten sein. Sie handeln nicht nur gelegentlich und je nach Bedarf moralisch. Sie sind vielmehr bereit, ihre moralischen Normen und Werte auch unter schwierigen Umständen zu praktizieren.
  • Moralische Vorbilder sind dabei von grosser Bedeutung… Vorgesetzte, die sich moralisch verhalten, machen Moral für Mitarbeitende attraktiv!
  • Moralische Integrität hängt doch primär davon ab, was für ein Mensch man sein will. Führungsverantwortliche sollten sich fragen: Wie will ich mich innerhalb und ausserhalb meiner beruflichen Rolle definieren? Verstehe ich mich als Teil einer Gemeinschaft, für die ich Verantwortung übernehmen will?

Integre Führungskräfte sind bereit, ihre moralischen Normen und Werte auch unter schwierigen Umständen zu praktizieren.

Ohne Druck ist es einfach, freundlich zu sein. Ohne Druck ist es auch einfach, moralisch zu handeln (sofern man einen gesunden Charakter hat!). Aber wie sieht es aus, wenn uns integres Verhalten einen Preis kostet?

Mir hat sich diesbezüglich ein viele Jahre zurückliegendes Erlebnis eingeprägt. Zu meiner Zeit als General Manager der Roche Gesellschaft in Hongkong war ich ausserberuflich auch Vorstandsvorsitzender der großen deutschen Privatschule „German Swiss International School“ mit damals etwa 700 Schülern.

In der Englischen Abteilung der Schule bestand eine Warteliste für die Aufnahme von Kindern. Eines Tages rief mich die Sekretärin des Schulsekretariats an und informierte mich, dass einer der Tycoons, also einer der reichsten und prominentesten Chinesen Hongkongs, uns den Bau des geplanten Kindergartengebäudes finanzieren würde, falls wir sein Kind, das auf der Warteliste stand, an die Spitze der Warteliste transferieren würden.

Genau: Da war ich völlig unerwartet mit einer Situation konfrontiert, die man sich nie wünscht! Die Schule finanzierte sich zwar aus hohen Schulgebühren und der finanziellen Unterstützung der deutschen Behörden, aber trotzdem war es ein ständiger Kampf, genügend Geld für die Weiterentwicklung der Schule zu haben. Nun wäre durch das Angebot des Tycoons der Bau des Kindergartens mit einem nur kleinen, kaum bemerkbaren Eingriff in die Warteliste mit einem Schlag möglich!

Ich habe den Deal reflexartig abgelehnt – zum Entsetzen der Schulsekretärin und der Mitglieder des Vorstandes, den ich dafür nicht konsultiert hatte. Vor allem aus zwei Gründen: Erstens hasse ich Ungerechtigkeit. Der Deal wäre den anderen Kindern und deren Eltern gegenüber ungerecht gewesen. Zweitens habe ich eine angeborene Abwehr gegenüber jedem Versuch, mich manipulieren bzw. mich für ungute Angelegenheiten missbrauchen zu lassen.

Diese Reflexe ermöglichten es mir, auch im beruflichen Umfeld Schmiergelddeals abzulehnen, obwohl in diesen Fällen der Verlust des entsprechenden Geschäftes damit verbunden war. In meiner langen Konzern-Karriere habe ich aber nie persönliche Nachteile als Folge solcher Entscheidungen erlebt!

Trotzdem ging das leider auch bei mir nicht immer so glatt. Lesen Sie dazu meine Story im Buch Erfolgsfaktor Integrität.

„Ich will ein Vorbild für Integrität sein“ –
das wäre doch ein guter Wunsch für dieses Jahr!

Der Wunsch, auch in schwierigen und engen Situationen integer zu entscheiden und im beruflichen und privaten Umfeld dadurch als Vorbild zu wirken, wäre doch ein guter Wunsch für dieses Jahr.

Ich persönlich wünsche mir – für dieses Jahr und für alle Jahre, die mir noch bleiben – dass vor allem meine beiden längst erwachsenen Töchter, meine zwei Schwiegersöhne und fünf Enkelkinder mich als Vorbild sehen und dies auch weiterhin tun werden.

Unsere Welt braucht gute Vorbilder. Mit unseren LIF Anlässen und Beiträgen wollen wir Sie dabei unterstützen.